PHVN-Vorsitzender Rabbow: „Beim Abitur ist deutlich Luft nach oben.“

    Der Vorsitzende des Philologenverbandes, Dr. Christoph Rabbow, äußert sich zum diesjährigen Abiturprüfungsverlauf in Niedersachsen, der gestern mit den schriftlichen Prüfungen (Haupttermin) im Fach Mathematik abgeschlossen wurde:

    „Eine erste Auswertung verdeutlicht, dass nicht alles so gelaufen ist, wie man es hätte erwarten dürfen und schon gar nicht wie es wünschenswert gewesen wäre. Die Abiturprüfungen bilden nach 13 Schuljahren den Höhepunkt der Schullaufbahn mit der die Schülerinnen und Schüler für ihre jahrelange, zum Teil auch mühevolle Arbeit, belohnt werden. Zu Recht sind die Anspannungen der Prüflinge und der Lehrkräfte in den Tagen des Abiturs besonders groß, zeigt sich doch dann die Passung der Aufgaben zum Lernstoff und zum Unterricht. Leider müssen wir auch in diesem Durchgang feststellen, dass die Prüfungen nicht vollumfänglich optimal gelaufen sind.

    Der Umgang mit den vor der Prüfung in die Öffentlichkeit geratenen Prüfungsaufgaben im Fach Politik durch das Ministerium ist optimierbar. Es ist schlichtweg nicht zumutbar, dass die Abiturientinnen und Abiturienten fast zwei Stunden auf den Beginn der Prüfung warten müssen, weil die Ersatzklausuren nicht fristgerecht an die Schulen geliefert werden können. Hier hat sich gezeigt, dass ein zielführender und passgenauer Notfallplan bei ungewöhnlichen Ereignissen im Abitur im Haus der Ministerin Hamburg nicht existiert. Es ist notwendig, die Mängel zu analysieren und umgehend abzustellen. Von der Meldung eines Vorfalls bis zur Ausgabe neuer Aufgaben dürfen keine drei Stunden vergehen. Das ist weder zumutbar noch professionell. Das Abitur ist der Abschluss der gymnasialen Schullaufbahn und die Schülerinnen und Schüler müssen sich hier auf eine sichere Durchführung verlassen können.

    Wir fordern, dass die Ministerin ihren angekündigten Notfallplan für Probleme bei zukünftigen Abiturprüfungen der Öffentlichkeit zugänglich macht und einem Stresstest unterzieht, hier sehen wir sie in der Verantwortung. Statt die Umsetzung grüner Lieblingsprojekte wie die Entwicklung von Einheitscurricula zu verfolgen, sollte man sich mit den wichtigen und originären Aufgaben befassen. Der Umgang mit dem schriftlichen Abitur im Fach Politik zeigt, wer zu viel Augenmerk auf ideologische Projekte legt, verliert den Blick für das Wesentliche.

    Problematisch war zudem in vielen Schulen der experimentelle Vorschlag im Fach Biologie, weil das Schüler-Experiment nicht durchgängig zu den im Erwartungshorizont formulierten Leistungen führte. Es ist schon ein Unding, wenn den Prüflingen ein Experiment vorgelegt wird, dass umständehalber mal gelingt und mal nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier Probleme feststellen. Als Kriterium für ein Experiment in Prüfungen muss gelten, dass es stabil und wahrnehmungsaktiv ist, andernfalls gehört es nicht ins Abitur.

    Kritisch sehen wir darüber hinaus, dass in einigen Klausuren oftmals Zusammenfassungen von den im Material dargebotenen Aspekten oder das Erstellen von Fließdiagrammen ohne Verwendung jeglicher Fachkenntnisse verlangt werden. Da muss man sich ernsthaft fragen, was damit bezweckt werden soll. Eine solche Prüfungsleistung wäre ja nicht einmal mehr dem Anforderungsbereich I zuzuordnen. Wenn man heute im Chemieabitur mehrere Aufgabenteile ganz ohne das Aufstellen einer einzigen Reaktionsgleichung absolvieren kann, dafür aber seitenlanges Material einfach nur wiedergeben muss, dann ist das mehr als bedenklich. Wir fordern daher eine grundsätzliche Überprüfung des Umfangs von Materialien. Es werden zu oft reine Informationsseiten, die kaum noch etwas mit Fachinhalten zu tun haben, ausgegeben. Das ist für eine leistungsbezogene Abiturprüfung nicht zielführend, es erzeugt nur Berge von Papier. Eine nachhaltige Entwicklung sieht gewiss anders aus.

    Die Professionalität der Ausführungen von Abiturprüfungen an den Schulen, hängt im Wesentlichen von der Arbeit in den Fachkommissionen und im Ministerium ab. Nur wenn gut vorgearbeitet wurde, kann die Umsetzung an der Basis gelingen. Allein dies verhindert Unmut an den Schulen und völlig unnötige Petitionen von Seiten der Schülerschaft. Hier sehen wir im Ministerium und bei der Ministerin noch deutlich Luft nach oben.

    Zudem muss die fortwährende Absenkung des Abiturniveaus endlich beendet werden. Die Abiturjahrgänge werden scheinbar immer besser. Eine Inflation von Abitur-Noten mit einer Eins vor dem Komma führt zu einer Verzerrung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit. Der Wert der Allgemeingen Hochschulreife befindet sich im Sinkflug, da müssen wir bundesweit gegensteuern. Unsere niedersächsischen Schülerinnen und Schüler haben nach 13 Schuljahren eine faire Leistungsbewertung verdient, da nur diese bei der Wahl von Ausbildung und Studium eine verlässliche Bewertungsgrundlage bieten kann. Leistung muss sich lohnen.“

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