Lehrkräftegewinnung in Zeiten des Lehrkräftemangels – nicht nur Quantität, sondern Qualität!

    Zehn Fragen an Susanne Lin-Klitzing

    Bei ihrem Besuch beim Jahreskongress des PhV Schleswig-Holstein in Rendsburg sprach PROFIL mit der DPhV-Bundesvorsitzenden über aktuelle bildungs- und verbandspolitische Themen.

    PROFIL: Welche Herausforderungen kommen auf uns Philologen in den nächsten Jahren zu? Welche Schwerpunkte wird es geben?

    SUSANNE LIN-KLITZING: Ganz wichtig ist erstens die Bewahrung der fachwissenschaftlichen Lehrkräftebildung. Wir müssen kämpfen gegen ein sog. »ausbildungsintegrierendes« duales Lehramtsstudium und für hohe fachwissenschaftliche Qualität und Quantität im Lehramtsstudium eintreten. Denn mit dem oft genannten »dualen Lehramtsstudium« wird der fachwissenschaftliche Wissensaufbau unterbrochen und minimiert und ersetzt durch eigenverantwortlichen Unterricht in der ersten Phase, der das Referendariat ersetzen soll. Wir müssen dementsprechend zweitens kämpfen für das Referendariat, nicht nur für 24 Monate Dauer, sondern dass es überhaupt erhalten bleibt! Dritter Punkt:

    DPhV-Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing (Foto: Aix concept)

    Die Lehrkräftefortbildung. Jedes Land muss einen dafür ausgewiesenen Haushaltsposten haben mit einer entsprechenden Konzeption, was bisher nur begrenzt der Fall ist.

    Die erste und die zweite Phase sind in der Regel in den Haushalten ausgewiesen, die dritte nicht. 179 Euro pro Lehrkraft und pro Jahr ist zu wenig (im Vergleich zu knapp 500 Euro pro Person in der Industrie, wie Peter Daschner dies in seiner Untersuchung belegt). Und wir brauchen Konzepte, die immer sowohl die individuelle Fortbildung, die fachliche Fortbildung und die schulinterne Fortbildung, die dezentrale und die zentrale Fortbildung umfassen und nicht einseitig auf bestimmte Moden, wie z.B. die schulinterne Lehrerfortbildung, fixiert sind.

    Außerdem müssen wir stetig dabei bleiben, eine Senkung des Regeldeputats zu fordern sowie die Entlastung der Kolleginnen und Kollegen durch die Befreiung von unterrichtsfernen Aufgaben.

    Lehrkräftegewinnung – wie kann sie qualitativ, aber auch quantitativ gelingen?

    LIN-KLITZING: Der eine Verbesserungsvorschlag wird es nicht richten. Wenn der Beruf für junge Menschen attraktiv sein und bleiben soll, dann brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen. Der Beruf muss etwas sein, was man aus Lust und Leidenschaft ergreift, und etwas, was man ein Leben lang durchhalten kann. Zur Zeit ist es so, dass nur noch 21 % unserer Lehrkräfte mit dem regulären Pensions- oder Renteneintrittsalter in Pension gehen, d. h. der Arbeitsalltag ist offenbar zu verschleißend und ist damit nicht attraktiv für junge Menschen. Deshalb muss die Politik das Arbeitsumfeld verbessern. Außer materiellen Verbesserungen, wie z. B. die Sanierung und bessere Ausstattung der Schulen, gehören auch Zeitressourcen für die Kolleginnen und Kollegen dazu, damit sie sich mehr miteinander und über ihre Schülerinnen und Schüler austauschen können.

    Nach unserer Erfahrung sind die Anforderungen in der Oberstufe und beim Abitur an den Schulformen Berufliches Gymnasium und Gesamtschule nicht mit denen an allgemeinbildenden Gymnasien vergleichbar. Lässt sich dies bundesweit bestätigen?

    LIN-KLITZING: Ja, es gibt aktuelle Untersuchungen vom Institut für Qualitätssicherung im Bildungswesen (IQB), die belegen, dass andere zum Abitur führende Schularten für weniger Anforderungen bessere Noten in den zwei Jahren »Gymnasiale Oberstufe« vergeben und beiden zentralen Abiturprüfungen aber schlechter abschneiden als die Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Gymnasien. Hier sehe ich ein Problem und eine Aufgabe für die Schulaufsicht. In den zwei Jahren Gymnasialer Oberstufe muss auch an anderen zum Abitur führenden Schularten anspruchsvoller gearbeitet bzw. an identischen Maßstäben orientiert realistischer bepunktet werden, also vergleichend an gemeinsamen und gehobenen Maßstäben orientiert unterrichtet und bewertet werden. Dieser Aufgabe muss die Schulaufsicht sich stellen, und das tut sie bisher nicht.

    PISA und andere Studien – welcher Wert sollte ihnen beigemessen werden?

    Der DPhV war auf vielen Panels auf der didacta vertreten und diskutierte zu zahlreichen aktuellen Bildungsthemen von Lehrkräftemangel über Demokratiebildung bis hin zur Bedeutung von KI-Anwendungen im Unterricht. (Foto: Aix concept)

    LIN-KLITZING: Man muss PISA mit seinen Stärken und seinen Schwächen sehen. Was PISA maximal kann, ist uns valide für bestimmte fachliche Kompetenzen zu zeigen, was Schülerinnen und Schüler in unserem Schulsystem zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, also punktuell, leisten.

    Was PISA überhaupt nicht kann, ist die Frage nach dem »Warum« zu beantworten. Wir bekommen eine Feststellung, das »Was«, kennen aber nicht die Gründe, das »Warum«, also damit auch keine kausal zu begründenden Veränderungsoptionen. Diese »Lücke« wird, so erscheint es uns, vom internationalen Koordinator der PISA-Studien genutzt, um seine eigenen Überzeugungen zu formulieren. Diese sind häufig gegen das Gymnasium und das gegliederte Schulwesen gerichtet, z.T. gepaart mit Vorurteilen gegenüber den deutschen Lehrkräften, obwohl sich dies aus den gemessenen PISA-Schüler-Leistungen nicht ableiten lässt.

    Warum war die diesjährige Didacta aus Sicht des DPhV ein Erfolg?

    LIN-KLITZING: Wir konnten auf vielen guten Podien mit vielen Besucherinnen und Besuchern mitdiskutieren und unsere Positionen darstellen und erläutern. Ich nenne hier das große Podium zum Deutschen Lehrkräftepreis. Der Fokus war hier zwar auf die Schulleitungen gerichtet mit Fragen wie: Was macht eine gute Schulleitung aus, was braucht sie, damit sie so agieren kann, wie sie soll oder möchte? Da ließen sich viele Parallelen zu den Lehrkräften herstellen, nämlich dass Schulleitungen wie Lehrkräfte mit vielen über flüssigen Tätigkeiten belastet sind, die sie an ihrem eigentlichen Kerngeschäft hindern. Eine unserer Forderungen nach Entlastung konnten wir auch hier öffentlichkeitswirksam darstellen, nämlich die Forderung nach Schulverwaltungskräften.

    Gehen wir über zur Frage der Künstlichen Intelligenz? Welche Chancen und Gefahren sieht der DPhV für unsere Schulen?

    LIN-KLITZING: Meine Position ist dieselbe wie in den Landesverbänden, dass man KI z.B. als ein Instrument zur Förderung im Unterricht nutzen kann, dass KI aber die Lehrkraft sicherlich nicht ersetzt und dass vor allem der Dienstherr in der Verpflichtung steht, dass nur solche KI-Instrumente genutzt werden, die datenschutzkonform sind. Die Verantwortung hat der Dienstherr und nicht die jeweilige Lehrkraft.

    Wie können wir sicherstellen, dass eine größere Zahl von begabten Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund den Weg in unsere Schulart finden?

    LIN-KLITZING: Das muss unser Ziel sein. Deutschlands Schwäche liegt hier nicht in seinem Bildungssystem, sondern in der mangelhaften vorschulischen Bildung. Leidtragende sind hier sämtliche Kinder, die nicht gut genug deutsch sprechen. Da sind uns andere Länder voraus – etwa mit einer manchmal einjährigen, zuweilen auch zweijährigen Vorschulphase.

    Die Schweiz etwa schult mit vier Jahren ein, Estland und England verfahren ähnlich.

    Unsere Position ist die: Kinder sollten im Alter vor vier Jahren getestet werden. Danach sollte eine diagnoseindizierte, verbindliche Förderung bis zum Schulbeginn einsetzen, damit diese Kinder annähernd chancengleich in die Schule eintreten können.

    In Dänemark und Schweden wird gegenwärtig die Digitalisierung an Schulen regelrecht etwas zurückgefahren. Von Ihnen stammt die schöne Formulierung vom »klug digital unterstützten Präsenzunterricht«.

    LIN-KLITZING: Dazu stehe ich weiterhin. Die Lehrkraft entscheidet immer wieder mündig, was im Unterricht wie – bezogen auf die jeweiligen Schülergruppen – gestaltet wird. Da kann es sinnvoll sein, auf digitale Simulationen zurückzugreifen, beispielsweise im Geographieunterricht. Der kritisch-konstruktive Umgang mit KI gehört in unseren Erziehungs- und Bildungsauftrag. Und gleichwohl bleiben z.B. digitale Medien unterstützende Elemente wie andere auch im Orchester der Methoden und didaktischen Entscheidungen, die die Lehrkraft trifft. Ganz nebenbei: Im Schweden müssen zu Beginn einer Unterrichtsstunde alle Mobiltelefone in einen Kasten abgelegt werden. Dies führt zu einer erhöhten Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler gegenüber Lehrkraft und Lerninhalten!

    Wie ist die Zusammenarbeit zwischen DPhV und PhV Schleswig-Holstein während Ihrer bisherigen Amtszeit als Bundesvorsitzende?

    LIN-KLITZING: Unsere Zusammenarbeit, die Kommunikation ist ausgezeichnet. Sie ist klar, sachbezogen, auf hohem Niveau und von gegenseitiger Wertschätzung getragen. In den gemeinsamen Sit-zungen gibt es kontinuierlich die von hoher Sachkenntnis getragene Beteiligung des Philologenverbandes Schleswig-Holstein. Darüber bin ich sehr froh. Wann immer es Gesprächsbedarf gibt, kommt es zu einem schnellen, präzisen Mailaustausch oder zu einem freundlichen und zielführenden Telefonat. Der PhV Schleswig-Holstein regt Diskussionen auf Bundesebene an, gibt konstruktive Rückmeldungen, verwertet engagiert Angebote des Deutschen Philologenverbandes, der Deutsche Philologenverband nimmt die Anregungen aus Schleswig-Holstein auf – und so entstehen auch gemeinsame Aktionen und Pressemitteilungen zusammen mit anderen Landesverbänden.

    Barbara Langlet-Ruck wird auf diesem Kongress aus ihrem Vorstandsamt ausscheiden. Ein Wort zur abschließenden Würdigung?

    LIN-KLITZING: Barbara Langlet Ruck schätze ich sehr. Wir hatten eine hervorragende Zusammenarbeit, getragen von hohem gegenseitigen Respekt und hoher Wertschätzung. Zu ihr fallen mir viele Begriffe ein, u.a.: klar – klug – kompetent! Sie ist eine ausgezeichnete Führungskraft, orientiert an den Bedarfen der gymnasialen Lehrerschaft, wertbezogen-konservativ, argumentationsbereit, eine über die Maßen gut organisierte Frau, mit der es sich ausgezeichnet zusammenarbeiten lässt. Ich habe die gemeinsame Zeit mit ihr sehr genossen – und jetzt freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit der neugewählten ersten Vorsitzenden Kirsten Schmöckel, die ich in Berlin schon kennen lernen durfte.

    Die Fragen stellte Walter Tetzloff

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