DPhV-Kongress in Berlin: Wohlbefinden und Resilienz im Lehrberuf – ein Thema nicht nur für Frauen

    Von Walter Tetzloff und Gabriela Kasigkeit

    Die zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten aufmerksam den Fachvorträgen im Hörsaal der Humboldt-Universität zu Berlin. (Foto: DPhV/Thomas Langer)

    Wie halten sich Lehrkräfte so fit, dass sie ihren Beruf in einem langen Berufsleben ausüben können und dabei Menschen bleiben, die sich ganzheitlich definieren, eine Balance zwischen Hingabe an den Beruf, Freude und Fürsorge im privaten Umfeld und sinnvoller, ausgleichender Freizeitaktivitäten wahren können? Darüber gibt es eine unübersehbare Fülle von Expertenliteratur. Sollte der DPhV dazu einen Kongress gestalten und dabei auch noch die besondere Situation der weiblichen Lehrkräfte in den Fokus nehmen?

    Er hat es gewagt, und es war Gabriela Kasigkeit, die den Spagat zwischen Gesundheitsförderung für alle Lehrkräfte und der besonderen Rolle der Frauen in unserem Beruf vorgenommen hat. Für Heiterkeit und gelöste Stimmung sorgte schon ihre Einführung, die sie mit einem Zitat begann: »Die Frau ist der Berufsausbildung körperlich, geistig und nervlich nicht gewachsen. Mädchen, die mit 20 Jahren in blühen der Schönheit in das Amt treten, sehen schon nach einer Arbeit von sechs bis acht Jahren wie ganz verblühte alte Jungfern aus. Im Alter von 30 bis 35 Jahren, wenn der Jüngling im Leben erst recht zu leben und der durch ernste Studien und Vorarbeiten erlangten Kraft sich recht zu freuen beginnt, sind die Lehrerinnen oft bereits gebrochen, nervös, leidend, beständig kränklich und erfüllen ihre Pflichten ohne Freudigkeit unter inneren Qualen. Mit 40 Jahren haben fast alle ohne Unterschied mit beständigem Siechtum zu kämpfen, so dass ihr Leben von dieser Zeit an als ein im Grund trauriges bezeichnet werden muss.

    «Bevor sich unsere geschätzten Kolleginnen in einer Mischung aus Zorn oder (wahrscheinlicher) großem Amüsement von diesem starken Tobak abwenden, muss fairerweise das Datum genannt werden, unter dem diese (aus heutiger Sicht) Realsatire erschien. Es ist der 4. Oktober 1898 (Schulanzeiger für Unterfranken und Aschaffenburg No.14, Würzburg 1898).

    DPhV-Kongress in Berlin: DPhV-Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing mit Gabriela Kasigkeit sowie den zwei Referenten Prof. Dr. Klusmann und Prof. Dr. Eckert

    DPhV-Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing mit Gabriela Kasigkeit sowie den zwei Referenten Prof. Dr. Klusmann und Prof. Dr. Eckert (Foto: DPhV/Thomas Langer)

    Den weiteren Verlauf der erfolgreichen Veranstaltung bestimmten Expertenwissen und ein Veranstaltungsablauf, der hier nur in Auszügen wiedergegeben werden kann. So können die Beiträge von Anita Tobias, der Bremer Landesvorsitzenden, und der Kongressteilnehmerin Andrea Müller-Kuhlmann als repräsentativ gelten.

    Während Anita Tobias ihre Erkenntnisse und Lerneffekte aus dem Kongress chronologisch und pragmatisch zusammenfasste, legte Andrea Müller-Kuhlmann den Fokus auf die Themen »Gesunderhaltung im Lehreralltag« und »Classroom Management«:

     

     

    Anita Tobias: Eindrücke, Erkenntnisse, Lerneffekte

    ➔ Lehrkräfte sind der Schlüssel für Lernende in Bezug auf Lernerfolg, Motivation, psychosoziale Entwicklung, Wohlbefinden, Abschlüsse, Innovationen und Bewältigung von Krisen. Mithin ist der Einfluss von Lehrkräften auf Lernende sehr hoch einzuschätzen. Daher ist es wichtig, dass Lehrkräfte selbst resilient und gesund sind.

    ➔ Emotionale Erschöpfung von Lehrkräften führt zu einer Distanzierung von ihren Lernenden, was für beide Seiten und die Unterrichtsqualität gleichermaßen nachteilig ist.

    ➔ Den Fokus auf positives Erleben zu richten, ist entscheidend für eine positive Selbstwirksamkeitserfahrung.

    ➔ Im Workshop »Lehrkräfte in Bewegung« wurde erfahrbar, dass die Konzepte »Bewegtes Lernen« und »Bewegte Schule« sehr gut geeignet sind, um das Körper bewusstsein als Lerngegenstand und Sinneserfahrung zu nutzen und zu stärken, für Lernende und Lehrkräfte. Es geht weder um gezieltes Training noch um sportliche Leistungsbeweise, sondern darum, dass unsere Psyche eng mit unserer Motorik verknüpft ist – und somit die Dominanz des sitzenden Arbeitens in der Schule gezielt aufgebrochen werden sollte, damit der Körper und das Körperempfinden ein selbstverständlicher Teil des Lernens und Arbeitens werden.

    ➔ Im Workshop »KI, KO oder OK? Resilienz im digitalen New Work« wurde erfahrbar, dass die Aufteilung von Arbeitsaufgaben, Reizen, sogar unvermeidlich erscheinenden Stressoren in bewältigbare »Portionen« den Königsweg darstellt für die Stressbewältigung, besonders in unserer Zeit der zunehmenden Disruptionen, zu welchen auch dieDigitalisierung der Arbeitswelt und des sozialen Miteinanders entscheidend beitragen.

    ➔ Den Umgang mit Stressempfinden kann und muss man lernen. Unsere evolutionär angelegten Stressreaktionsmechanismen funktionieren nur bedingt in der modernen Arbeits- und Kommunikationswelt, daher müssen wir lernen, andere Perspektiven darauf und andere Formen des Umgangs damit einzunehmen.

    ➔ Körper und Psyche verlangen gleichermaßen nach Stabilisierung durch z.B. ausreichend Schlaf, Bewegung, gesunde Nahrung, Emotionsregulation, Beziehungen und Verbundenheit so wie allgemein durch das Schaffen hilfreicher Strukturen im Lebensalltag.

     

    Austausch und Kommunikation spielten neben den Vorträgen eine große Rolle. (Foto: Thomas Langer)

    Andrea Müller-Kuhlmann: Gesund bleiben im Lehreralltag und Classroom Management

    Nach den Impulsreferaten am Vormittag hatten die Teilnehmenden des Kongresses Gelegenheit, in unterschiedlichen Workshops sich mit vielfältigen Themenfeldern zur Gesunderhaltung im Lehreralltag auseinanderzusetzen.

    Josephine Danneberg aus dem Team um den Ernährungsdoc Matthias Riedl stellte in ihrem Workshop: »Gesunde Ernährung für Lehrkräfte in der Schule« nicht nur theoretische Bezüge zu einer gesunden Ernährungsweise im Schulalltag her, sondern füllte diese ebenfalls mit praktischen Tipps und Rezeptvorschlägen.

    Der theoretische Fokus liegt auf dem 20:80 Prinzip. Dabei geht es nicht darum, eine bestimmte Diät durchzuführen, sondern sich auf seine Gewohnheiten zu konzentrieren. Dies bedeutet, dass man nur 20% seines Essverhaltens ändern muss und 80% seiner Gewohnheiten beibehalten kann. Ein wichtiges Kriterium ist dabei das Tellerprinzip. Dieses Baukastensystem teilt die Mahlzeiten auf dem Teller wie folgt auf: 20% Nudeln, Kartoffeln, Reis, Brot sowie hochwertige Öle und Fette etc., 30% Fleisch, Fisch, Eier, Milch, Milchprodukte und Hülsenfrüchte sowie 50% Gemüse. Diese clevere Kombination sorgt dafür, dass man sich satt und zufrieden fühlt. Josephine Danneberg führt in ihrem Vortrag durch unterschiedliche Verzehrempfehlungen einzelner Lebensmittelbestandteile, sodass die Teilnehmer des Workshops ein genaues Bild davon erhielten, welche Verzehrmenge über den Tag verteilt zu einer gesunden Ernährung führt.

    Häufig scheitern diese Umsetzungen allerdings daran, dass man sich nicht die Zeit für sich selbst und eine gesunde Ernährung nimmt. So hält die Vortragende es für wichtig, mit kleinen Zielen anzufangen. Man könne sich z.B. einmal die Woche vornehmen, nach dem vorgestellten Ernährungsmuster den Tag zu strukturieren und diese Routine anfangs wöchentlich zu wiederholen. Josephine Danneberg verweist hierbei auf den Einsatz der SMART Methode, die dafürsteht, dass man sich spezifische (S) Ziele setzt, die messbar (M) und angemessen (A) sowie realistisch (R) und individuell terminiert (T) werden können. Bei einem positiven Erfolg käme eine Übertragung auf andere Tage von selbst. Außerdem rät die Expertin, stets eine Einkaufsliste zu verwenden sowie sich einen festen Zeitraum zum Einkaufen einzurichten.

    Ebenfalls hebt sie hervor, dass viele bereits gesunde Lebensmittel zuhause in dem Vorratsschrank einlagern. Dieses müsse man sich bewusst machen und für eine gesunde Ernährung nutzen.

    Abschließend wurden zahlreiche umsetzbare Rezeptideen vorgestellt, die auf dem Tellerprinzip aufbauen. Ebenfalls lagen zur Ansicht zahlreiche Rezeptbücher aus. Als Fazit des Workshops kann gesagt werden: Gesunde Ernährung im Alltag ist somit möglich, muss jedoch von jedem selbst in Angriff genommen werden, erfordert ein Umdenken der alltäglichen Strukturen sowie einen neuen Umgang mit Lebensmitteln.

    Prof. Dr. Markus Eckert sprach in seinem Workshop über unterschiedliche Methoden des Classroom Managements und wie diese in der unterrichtlichen Arbeit bei psychischen Störungsbildern hilfreich sein können. (Foto: Thomas Langer)

    Prof. Dr. Markus Eckert referiert in seinem Workshop »Classroom Management: Psychische Störungsbilder – was kann Classroom Management leisten?« über unterschiedliche Methoden des Classroom Managements und wie diese die unterrichtliche Arbeit in Bezug auf die psychischen Störungsbilder unterstützen können.

    Er konzentriert sich dabei auf die Bereiche AD(H)S, Depression und Angststörung, wobei der Bereich AD(H)S besonders im Fokus stand. Nach Prof. Eckert geht es im schulischen Kontext nicht darum, die Kinder zu heilen, sondern ihnen eine Hilfestellung zu geben, um sich im System Schule zurechtzufinden. Eine Möglichkeit bietet dabei die Broaden-Build-Theory, diese zielt auf die Erweiterung der Möglichkeiten (Broaden), dem Aufbau von Ressourcen (Build) und dem Transform und Growth (Inneres und gemeinsames Wachstum) ab. In der Praxis bedeutet dies, dass man sich mit der Schülerin bzw. dem Schüler gemeinsam Schritt für Schritt einem Ziel nähert.

    Ein Beispiel stellt die Konzentrationsfähigkeit dar, die häufig ein Problem der AD(H)S-Störung darstellt. Ein kleines Ziel könnte ein vereinbarter Zeitraum von z. B. 20 Minuten sein, in dem die Schülerin bzw. der Schüler sich konzentrieren soll.

    Wenn diese Vereinbarung eingehalten worden ist, muss die Lehrkraft unbedingt ein Lob aussprechen, damit sich die Betroffenen ernst und angenommen fühlen. Dabei geht es insbesondere um Ressourcen- und Kompetenzentwicklung, die das Selbstbewusstsein des Kindes stärken.

    Ebenfalls eignen sich nach Prof. Eckert Verstärkungen, sogenannte Token Pläne. Diese Verstärkerarten beziehen sich insbesondere auf Soziale Verstärker, Aktivitätsverstärker sowie Materielle Verstärker. Ein Beispiel dafür ist, dass eine Klasse durch die Erarbeitung von Puzzleteilen eine bestimmte Art von Belohnung erarbeitet wie z. B. einen Klassenausflug. Die Puzzleteile erhalten sie immer dann, wenn die ihnen aufgetragene Aufgabe gelöst werden konnte. So könnten z.B. Schülerinnen und Schüler mit einer AD(H)S Besonderheit eine Aufgabe erhalten, die den Fokus von ihren sonstigen Auffälligkeiten weglenkt. Ein positiver Effekt ist, dass sie innerhalb der Klassengemeinschaft anders wahrgenommen werden.

    Zum Abschluss griff Prof. Eckert die Störungsbilder Depression und Angststörung auf und erläuterte anhand praxisnaher Beispiele einen möglichen Umgang im schulischen Alltag.

    Die von Prof. Eckert erläuterten Möglichkeiten des Classroom Management in Bezug auf Psychische Störungsbilder bei schwierigen Schülerinnen und Schüler stellen für die Lehrkräfte eine Hilfestellung dar, um das mögliche Stresspotential im Schulalltag einzudämmen.

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